WKO im Gespräch - Interviewreihe zur Konzertsaison 2021/2022
Hoffnung und Veränderung
Seit über einem Jahr begleitet uns Corona und greift in alle Lebensbereiche ein. Die Krise und ihre Lockdowns haben uns minimalistischer werden lassen. Wir haben Kontakte beschränkt und die Fahrt aus unserem Alltag genommen. Der Stillstand hat uns Zeit gegeben nachzudenken. Was kommt nach einer so schicksalhaften Zeit? Was bleibt? Was nun? Was haben Menschen erst jetzt so richtig schätzen gelernt und worauf blicken sie mit freudiger Zuversicht? All diese Gedanken begleiten unsere Saisonvorschau 21/22, die in einer Zeit der Ungewissheit entstanden ist. Aus dieser Stimmung heraus sind auch die Kurzinterviews zu lesen, die in allen Teilen der Saisonvorschau auftauchen.
Case Scaglione - Chefdirigent des WKO
Seit der Saison 18/19 sind Sie Chefdirigent des WKO. In der vergangenen Spielzeit wurde Ihr Vertrag bis 2024 verlängert.
Hat sich das Orchester in der Zwischenzeit verändert?
»Das ist schwer zu sagen. Es ist so, wie wenn man ein Kind hat und gesagt wird: »Oh, das Kind ist ja wieder so groß geworden«. Ich glaube, das Orchester hat sich schon verändert. Aber ich bin so tief in die »WKO-Familie« integriert, dass ich es nicht bemerke. Da müsste man wahrscheinlich das Publikum fragen. Was sich auf jeden Fall verändert hat, ist das Repertoire. Es ist in den letzten Jahren immens gewachsen. Es gibt insgesamt eine neue Atmosphäre, eine neue Richtung. Auch in der Zeit des Lockdowns. Wir haben währenddessen viel geschafft: viele CD-Aufnahmen zum Beispiel. Ich fühle mich immer mehr zu Hause.«
Marlise Riniker - 1. Violine WKO
Können Sie der Pandemie trotz allem vielleicht etwas Positives abgewinnen?
»Schon, auf jeden Fall! Ich habe unter anderem zwei Duos gegründet. Mit meiner Kollegin Gayoung Lee habe ich kurz vor Weihnachten eine kleine musikalische Reihe aufgenommen. Zum 1. Mal habe ich mich soweit mit der Technik beschäftigt, um die Musikvideos auf einem eigenen YouTube Kanal hochzuladen. Zu Weihnachten haben wir den Link an Freund*innen und Bekannte verschickt. Was wir mit Freuden geschaffen haben, ist auf großes Echo gestoßen.«
Johannes Hehrmann - 2. Violine WKO
Was haben Sie durch Corona an Kultur schätzen gelernt?
»Ich habe schätzen gelernt, was uns diese Krise als Musiker*innen nicht nehmen konnte: Die Musik. Sie wurde ja nicht nur für ein Publikum geschrieben, sondern trägt eine Aussage in sich – einen Gedanken, eine Idee, ein Gefühl. Dieser Aspekt bleibt unverändert bestehen, auch wenn kein Publikum da ist. Die Musik ist genauso spannend wie zuvor und ohne die Livesituation ist es fast so, als würde man ein privates Gespräch mit den Komponist*innen führen.«
Bettina Suditsch - Mitglied im WKO-Orchesterverein & ehemalige WKO-Mitarbeiterin
Was haben Sie an Kultur durch Corona schätzen gelernt?
»Ich vermisse die Livekonzerte und die damit verbundenen Sternstunden des WKO sehr. Deswegen freue ich mich umso mehr, wenn wieder Konzerte stattfinden können. CDs sind ein schöner Ersatz, worüber ich sehr froh bin, aber Livekonzerte können sie trotzdem nicht ganz ersetzen. Ich freue mich schon sehr auf das nächste WKO-Konzert.
Gerade in und nach Krisenzeiten sehnen sich Menschen nach Gemeinsamkeit und Kultur – Jörg Faerber hatte mir mal von den ersten Konzerten nach dem Krieg erzählt. Tausende Menschen sind gekommen – unter freiem Himmel wurde gespielt. Das zeigt, wonach sich Menschen nach großen Katastrophen sehnen.«
Georg Oyen - Violoncello WKO
Was sind Ihre Hoffnungen für die Kultur in der Spielzeit 21/22 und worauf freuen Sie sich am meisten?
»Das ist ganz einfach zu beantworten: Wenn wir wieder vor Publikum spielen können. Das ist unser Beruf, alles andere ist nur ein Schatten dessen. Zum Kunstprozess gehören nun mal drei Komponenten: Das Werk, die Interpretation und das Zuhören. Aber das Publikum hört nicht einfach nur zu. Zuhörer*in ist ein falsches Wort, finde ich. Das Publikum ist aktiver Teil dieses Kunstprozesses. Es gibt Wechselwirkungen zwischen den Musiker*innen und dem Publikum und umgekehrt. Das fehlt mir sehr. Und außerdem ist es viel schöner so.«
Rainer Neumann - Geschäftsführender Intendant
Seit Februar 2020 sind Sie Intendant des WKO. Was war bisher Ihr tollster WKO-Moment?
»Da fallen mir mindestens zwei ein. Der erste tolle Moment liegt lang zurück: Als Musikstudent habe ich unter Jörg Faerber als Klarinetten- Aushilfe im WKO bei einer Mozart-Sinfonie mitgespielt. Am Beginn meiner Intendanz war das Konzert in der Elbphilharmonie Anfang des Jahres 2020 ein großartiger Moment. Mein spontaner Gedanke: Was für ein Glück, für so ein tolles Orchester arbeiten zu dürfen.«
Gerda Schmauser - Mitglied des WKO-Stiftungsrats
Als langjähriges Stiftungsratsmitglied stehen Sie dem WKO sehr nahe. Was schätzen Sie an "Ihrem" Kammerorchester ganz besonders?
»Ich schätze den besonderen Klangkörper vom WKO. Wenn ich im Radio ein Stück mit dem Orchester höre, dann erkenne ich bei den ersten Takten diesen unverkennbaren Klang. Zudem kann sich das Orchester immer besonders individuell auf die jeweils einzelnen Solist*innen einstellen. Ich wünsche dem WKO bald wieder vor Publikum spielen zu dürfen und hoffe sehr auf ein Neujahrskonzert 2022 in der Harmonie.«
Sophie Pacini - Pianistin, Solistin des 6. Heilbronner Konzerts / 3. Ulmer Konzerts
Hat Corona Ihre Perspektive verändert?
»Ja! Zum Beispiel habe ich es schätzen gelernt, dass auch die Kleinigkeiten extrem wichtig sind. Mittlerweile freue ich mich selbst auf Details, wie Kofferpacken, wenn ich endlich wieder auf Konzertreise gehen kann. Man lernt es viel mehr zu schätzen in verschiedenen Städten zu sein und aufzutreten. Ich nehme den Ort und die Menschen dort viel mehr wahr. Das wird die nächsten Jahre auch so bleiben, denke ich. Manche Details sind mir auch etwas unwichtiger geworden, wie zum Beispiel die Frage: ›Welches Konzertkleid soll ich tragen?‹. Es geht letztendlich doch darum, dass wir wieder miteinander Musik machen können, aufeinander einund zugehen. Der Rest ist nebensächlich.«
Dr. Wolfgang Hansch - Geschäftsführer der "experimenta - Das Science Center"
Was haben Sie durch die Corona-Pandemie zu würdigen gelernt?
»Bei aller notwendigen Digitalisierung unseres Lebens ist eines klar geworden: Der Mensch ist ein analoges Wesen mit Emotionen, mit einer eigenen Wahrnehmung der umgebenden Realität und mit dem Wunsch nach persönlicher Begegnung. Und was steht mehr dafür als das gemeinsame Erleben von Musik oder das interaktive Erlebnis in einem Science Center wie der experimenta.«
Bernhard Forck - Violine und Leitung des 4. Heilbronner Konzerts / 2. Ulmer Konzerts
Was gibt Ihnen derzeit Zuversicht?
»Mir gibt Zuversicht, dass wir Menschen soziale Wesen sind, die Gemeinschaft, Kunst und Kultur genauso brauchen wie Lebensmittel. Kultur hilft dabei die Welt verstehen zu lernen, zu lernen wie man lebt und andere Welten zu betreten. Meine Hoffnung ist, dass wir bald wieder zur Normalität zurückkehren können.«
Otto Friedrich - Vorsitzender des WKO-Orchestervereins
Als Vorsitzender des Orchestervereins kennen Sie das Orchester schon lange. An welche Momente erinnern Sie sich besonders gerne?
»Ein Highlight ist das jährliche ›Get Together‹, ein Treffen der Mitglieder des Orchestervereins, den WKO Musiker*innen und dem Chefdirigenten. Die persönlichen Begegnungen schätze ich am meisten.«
Alisa Weilerstein - Cellistin, Solistin des 10. Heilbronner Konzert
Haben Sie sich durch die Pandemie als Musikerin neu kenengelernt?
»Auf jeden Fall! Ich finde zum Beispiel, dass die Zeit einfach ganz anders vergeht. In der Musik dreht sich so viel um Timing: um den eigenen, inneren Rhythmus und den Biorhythmus. Ich glaube, mein Spiel hat sich durch die neue Wahrnehmung minimal verändert. Außerdem hat man gerade einfach wesentlich mehr Zeit, Repertoire anzuhören. Natürlich gab es in den letzten Monaten auch Momente, in denen ich mein Cello erst gar nicht anschauen wollte, weil einfach kein Konzert stattfinden konnte und mich mein Cello ständig daran erinnert hat. Musiker*innen sind auf das Publikum, Reisen und Menschen angewiesen und das sind genau die drei Dinge, die von der Pandemie am stärksten betroffen sind. Es war also eine sehr schwierige Zeit. Insgesamt befinde ich mich allerdings in einer sehr privilegierten Position, da meine Familie und ich nicht an Corona erkrankt und alle schon geimpft sind. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.«