Deutschlandfunk Kultur „Konzert“ 05.11.2020, 20.03 Uhr
Nikolai Kapustin
Klavierkonzert Nr. 4 op. 56
Doppelkonzert für Klavier und Violine op. 105
Frank Dupree Klavier Rosanne Philippens Violine Case Scaglione Leitung
Württembergisches Kammerorchester Heilbronn
Sulmtalhalle Erlenbach, Aufzeichnung vom 26.10.2020
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https://www.deutschlandfunkkultur.de/frank-dupree-spielt-nikolai-kapustin-und-george-antheil.1091.de.html?dram:article_id=486963
Die Solist*innen
Frank Dupree
Der Rastatter Pianist Frank Dupree sorgte international für Aufsehen, als er 2014 zum einzigen Preisträger des Deutschen Musikwettbewerbs gekürt wurde. 2018 wurde er mit dem OPUS KLASSIK Preis in der Kategorie „Konzerteinspielung 20./21. Jahrhundert“ ausgezeichnet. Er debütierte bereits als Konzertpianist mit dem London Philharmonic Orchestra (UK), dem Orchestre de Chambre de Paris (F) und dem Auckland Symphony Orchestra (NZ). Highlights seiner jungen Karriere sind Konzerteinladungen in die Elbphilharmonie Hamburg, die Londoner Wigmore Hall, die Tonhalle Zürich und das BOZAR in Brüssel. Auch als Dirigent macht er sich einen Namen und dirigierte bereits zahlreiche Orchester, wie die Stuttgarter Philharmoniker, die Weimarer Staatskapelle und das Sinfonieorchester Liechtenstein. Als vielseitiger Gast und Kammermusikpartner konzertierte er beim Verbier Festival, bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, dem Heidelberger Frühling und dem Kurt Weill Fest. Von seinem sechsten Lebensjahr an wurde Frank Dupree von Prof. Sontraud Speidel unterrichtet und gefördert. 2019 absolvierte er sein Studium an der Hochschule für Musik Karlsruhe im Solistenexamen Klavier. Frank Dupree ist offizieller Steinway-Künstler.
Rosanne Philippens
Philippens Spiel wurde von der niederländischen Tageszeitung DeTelegraaf als "energisch, einfühlsam und makellos" beschrieben. Letzte Hightlights waren ihre Auftritte mit den Rotterdamer Philharmonikern in De Doelen, der Niederländischen Radiophilharmonie in der prestigeträchtigen Zaterdag-Matinee-Reihe und dem Residentie Orkest sowohl in Den Haag als auch in der Concertgebouw Hall in Amsterdam. An anderen Orten spielte Philippens mit dem Barcelona Symphony, Vancouver Symphony, Winnipeg Symphony und mit Orchestern in Deutschland, Finnland und der Schweiz, unter Dirigenten wie Nézet-Séguin, Foster, Tausk, de Vriend, Hermus und Collon. Im Bereich Rezital- und Kammermusik spielt Philippens regelmäßig mit Künstlern wie István Vardai, Vilde Frang, Julien Quentin, Vikingúr Olafsson, Amihai Grosz, Camille Thomas und Zoltán Fejérvári in ganz Europa. Zu den Höhepunkten ihrer Saison 20/21 gehören neben der Rückkehr zum Orchestre National de Lyon als play/direct, eine erneute Einladung zu den St. Galler Symphonikern sowie die Debüts mit dem Royal Philharmonic und den Schottischen Symphonieorchestern der BBC. Rosanne Philippens wurde von frühester Kindheit an von Anneke Schilt an der Amstelveenmusic-Schule unterrichtet. Philippens setzte ihre Studien am Königlichen Konservatorium in Den Haag und an der Hanns-Eisler-Akademie in Berlin bei Coosje Wijzenbeek, Vera Beths, Anner Bylsma und Ulf Wallin fort und erhielt von beiden Instituten die höchste Auszeichnung. Philippens gewann 2009 den ersten Preis beim Nationalen Niederländischen Violinwettbewerb und 2014 beim Internationalen Freiburger Violinwettbewerb. Die Niederländerin spielt dank der großzügigen Förderung der Elise Mathilde Foundation die Barrere-Stradivari (1727).
Der Komponist
Nikolai Kapustin 1937-2020
Nikolai Kapustin wurde am 22. November 1937 in Gorlowka (Ukraine) geboren. Im Alter von 14 Jahren zog er nach Moskau, wo er Unterricht bei Awrelian Rubach und später Alexander Goldenweiser nahm. Seinen ersten Versuch, eine Klaviersonate zu komponieren, unternahm er mit 13. Während seines Studiums am Konservatorium komponierte und spielte er sein Opus 1, ein Concertino für Klavier und Orchester. In dieser Zeit hatte er auch sein eigenes Quintett und war Mitglied in Juri Saulskis Bigband. Nach seinem Abschluss am Moskauer Konservatorium 1961 wurde er Mitglied der Oleg Lundstrem Bigband. Ab den 1980er Jahren widmete er sich hauptberuflich dem Komponieren. Kapustin verwendet Jazzelemente in formalen klassischen Strukturen. Seine Musik wird von führenden Pianisten wie Marc-André Hamelin, Steven Osborne, Ludmil Angelov, Masahiro Kawakami, Nikolai Petrov und Vadim Rudenko sowie von den Cellisten Eckard Runge und Enrico Dindo gespielt.
(Quelle: www.schott-music.com)
Jazz als Reifungsprozess. Ein Nachruf auf den Pianisten und Komponisten
Am 02.07.2020 verstarb der Komponist und Pianist Nikolai Kapustin im Alter von 82 Jahren in Moskau.
Nikolai Girschewitsch Kapustin wurde am 22. November 1937 in der ukrainischen Stadt Nikitowka, einem Vorort von Horliwka geboren. Bereits im Kindesalter führte ihn seine Mutter an das Klavierspiel heran; frühe Kompositionsversuche mündeten im Alter von 13 Jahren in eine erste Klaviersonate. 1952 reiste Kapustin mit seinem damaligen Klavierlehrer Piotr Vinnichenko nach Moskau, um die Aufnahmeprüfung für das Academic Music College abzulegen. Dort kam er in der Klasse von Awrelian Rubach. Anschließend, im August 1956, bestand er die Aufnahmeprüfung für das Moskauer Konservatorium, wo er bis zum Diplom 1961 Klavier bei Alexander Goldenweiser studierte. Komposition belegte Kapustin nie als Studienfach, sondern erarbeitete sich seine Fähigkeiten autodidaktisch.
Bereits im Music College begegnete Kapustin erstmals dem Jazz und erkannte darin seine natürliche Ausdrucksform. Am Moskauer Konservatorium gründete er 1957 ein Jazz-Quintett und wurde Mitglied einer Bigband. Nach dem Examen wechselte er in die Bigband von Oleg Lundstrem, einem Schüler von Duke Ellington und Louis Armstrong. Für dieses Ensemble komponierte er unter anderem sein Erstes Klavierkonzert op. 2, in dem er sein Instrument in den Mittelpunkt stellen konnte. 1972 wechselte er ins Orchester „Blauer Bildschirm“. Nach dessen Auflösung 1977 bekam er eine Stelle beim Staatlichen Symphonischen Filmorchester, das unter der Leitung von Georgy Garanyan, Yuri Serebryakov und Konstantin Krimetz stand. In diese Zeit fällt sein Zweites Klavierkonzert op. 16, auf dessen Erfolg hin er Mitglied im sowjetischen Komponistenverband wurde.
Tief drinnen brodelt es
Ab den 1980er Jahren widmete sich Kapustin hauptberuflich dem Komponieren, blieb aber weiterhin als Pianist tätig und spielte vornehmlich seine eigenen Werke für Sendungen in Radio und Fernsehen ein. Seine Musik zeichnete sich nun durch die Verbindung eigener Jazz-Elemente mit klassischen Formen wie der Sonate oder der Suite aus. Auffällig ist das Pulsierende, Virtuose und auf einer geradezu körperlichen Ebene Ansprechende seiner Musik. Typisch für seinen Stil ist die Suite in the Old Style op. 28 von 1977 mit ihren aufgefächerten Jazz-Improvisationen in barocker Satzstruktur nach dem Vorbild Bachscher Partiten. Das scheinbare Paradoxon eines auskomponierten Jazz in seinem Schaffen erklärte der äußerlich immer ruhig und bescheiden wirkende Kapustin so:
Ich war nie ein Jazzmusiker. Ich habe nie versucht, ein wahrer Jazzpianist zu sein, aber ich musste es sein, um des Komponierens willen. Ich interessiere mich nicht für Improvisation – und was wäre ein Jazzmusiker ohne Improvisation? Alle Improvisation meinerseits ist natürlich niedergeschrieben und sie ist dadurch viel besser geworden; es ließ sie reifen.
Zu seinem Œuvre zählen zahlreiche Klavierkompositionen, darunter eine Reihe von 20 Klaviersonaten und sechs Klavierkonzerte. Hinzu kommen Konzerte mit Soloinstrumenten wie Violine, Violoncello und Saxophon, Kompositionen für Big Band, Streich- und Blasorchester sowie Kammermusik für verschiedenste Besetzungen.
Vom Geheimtipp zum weltweiten Phänomen
Während Kapustins Musik vor dem Jahr 2000 außerhalb der ehemaligen Sowjetunion ein Geheimtipp unter Jazzspezialisten war, wurden seine Kompositionen im neuen Jahrtausend über das Internet in aller Welt bekannt und fanden durch ihren genreüberschreitenden Charakter besonders bei jüngeren Pianisten großen Anklang. Auch die vielfach ausgezeichneten CDs von Steven Osborne (2000) und Marc-André Hamelin (2004) mit Kapustins Werken trugen zur internationalem Bekanntheit des Komponisten bei. Heute finden seine Kompositionen immer mehr Eingang in die Recitals bedeutender Pianisten und erreichen nach und nach den Status von Klassikern des 20. und 21. Jahrhunderts.
Mit Nikolai Kapustin hat uns ein faszinierender Künstler verlassen, ein wahrer Individualist, dem im Alter eine unerwartete internationale Prominenz zu Teil wurde. Wir durften ihn eine leider nur kurze, aber intensive Zeit als Verleger begleiten und sind dankbar für die Jahre der kreativen, ja freundschaftlichen Zusammenarbeit.
(Quelle: www.schott-music.com)