Im Gespräch mit Katrin Kirsch & Risto Joost

WKO-Cellist Georg Oyen spricht mit Chefdirigent Risto Joost und Intendantin Katrin Kirsch

 

Georg Oyen: Das Württembergische Kammerorchester feiert in diesem Jahr seinen 65. Geburtstag. Früher ging man da in Rente. Ist das WKO als Institution »reif für die Rente«? 

Katrin Kirsch: (lacht) Ganz bestimmt nicht! Das WKO steht aber tatsächlich vor einem großen Generationenwandel. Die Hälfte des Orchesters wird in den nächsten 10 Jahren das Renteneintrittsalter erreichen. Und das wird sicher sehr spannend, aber auch herausfordernd, weil das WKO ja aktuell ein sehr gut eingespieltes Ensemble ist. Viele Musiker:innen spielen schon seit über 35 Jahren gemeinsam in diesem Orchester.

Risto Joost: Ich denke, dass unser Orchester eine wunderbare Mischung aus Erfahrung und Qualität verkörpert und gleichzeitig diesen Blick in die Zukunft hat. Jede/r Musiker:in gibt jeden Tag ihr Bestes und gibt sich nicht mit weniger zufrieden. Deshalb bin ich hier, das inspiriert mich. 


Georg Oyen: Das »alte« WKO war ja ein reines Reiseorchester, mit bis zu 100 Auswärtskonzerte pro Saison. Das heimische Publikum kam dabei zwangsläufig zu kurz, Heilbronn war selten mehr als eine Tour-Station. Abgesehen davon, dass der Markt für Reiseorchester ein ganz anderer ist als damals: Wie steht es mit Ihrer eigenen Reiselust? Welche Vor- und Nachteile kann das Reisen für ein Orchester wie das unsere haben? 

Risto Joost: Ich glaube, wir reisen jeden Tag in Musik, mit Musik. Es ist sehr selten, dass wir nur einen Komponisten im Programm haben und jede Musik hat ihre eigene Farbe, ihren eigenen Charakter. Reisen gehört dazu. Das WKO ist es wirklich gewöhnt, flexibel zu sein und immer an neue Orte zu reisen, schnell zu reagieren und bereit zu sein. Die Orchester, die diese Tradition nicht haben, denen fehlt etwas an Flexibilität.

Katrin Kirsch: Ich finde, eine Reise ist immer ein Wechsel der Perspektive und das tut grundsätzlich gut. Ich reise sehr gerne, freue mich aber immer wieder auf zuhause.

Risto Joost: Ich glaube, die Leute verhalten sich anders auf Reisen. Die persönlichen Verbindungen sind präsenter und wir haben mehr Zeit, einander kennenzulernen. Und das spiegelt sich dann in der Musik wieder und kommt dadurch auch auf die Bühne.

Katrin Kirsch: Jeder ist raus aus seinem eigenen Alltag.

Risto Joost: Und dieses Gefühl kann man zuhause nicht entwickeln. 


Georg Oyen: Heute sind wir ganz anders in unserer Stadt verortet. Bei meinem Eintritt vor etwa 35 Jahren hatte das WKO maximal 12 Termine in Heilbronn. In der vergangenen Saison waren es 40 (Kammerkonzerte mitgerechnet)! Müssen wir eine »WKO-Übersättigung« in Heilbronn fürchten? 

Katrin Kirsch: Das sehe ich überhaupt nicht so. Wir haben weiterhin 10 Abokonzerte plus unser Neujahrskonzert und wir spielen beim Klassik Open Air der Stadt Heilbronn. Das bedeutet im Durchschnitt ein Konzert pro Monat in Heilbronn. Dazu kommt natürlich noch die Kammermusikreihe in der Kreissparkasse mit 9 Konzerten, aber das ist ja ein anderes Genre, das sind keine Orchesterkonzerte. Momentan spielen wir außerdem ein Familienkonzert und verschiedene Programme für Kindergärten und Schulen. Diesen Bereich würde ich gerne ausweiten, weil das unser Publikum von morgen ist. Ich würde außerdem auch gerne ab und zu Konzerte an ungewöhnlichen Orten machen mit einem anderen Programmkonzept, was dazu beitragen kann, zusätzlich noch ein anderes Publikum anzusprechen. Ich glaube, dass es wichtig ist für unser Orchester, gut in Heilbronn und der Region verankert zu sein. Hier ist unsere Basis, hier ist unser treuestes Publikum. Ich bin neu in Heilbronn und es hat mich sehr fasziniert mitzubekommen, wie anerkannt und geschätzt das WKO in der Stadt ist.

Risto Joost: Das kann man wirklich fühlen! Natürlich spielt, wo man probt und aufführt auch eine große Rolle für die Identität eines Klangkörpers. Wir haben schon einmal darüber gesprochen, dass unser Probenraum für unsere Klangvorstellungen nicht ideal ist, akustisch gesehen. Und natürlich ist die Harmonie leider kein besonders guter Konzertsaal. Es wäre toll, wenn sich an diesen Bedingungen irgendwann etwas ändern könnte.

Katrin Kirsch: Ja, da hast du Recht, das ist wirklich ein Zukunftsthema. Mitentscheidend für den Erfolg ist sicher auch eine kluge und engagierte Programmplanung. Diese richtet sich natürlich auch nach Wünschen von Veranstaltern und Solisten, aber ich bin sicher, dass Sie beide auch bestimmte Vorlieben innerhalb des Repertoires haben. Welche sind das, ganz ohne pragmatische Erwägungen?


Georg Oyen: Mitentscheidend für den Erfolg ist sicher auch eine kluge und engagierte Programmplanung. Diese richtet sich natürlich auch nach Wünschen von Veranstaltern und Solisten, aber ich bin sicher, dass Sie beide auch bestimmte Vorlieben innerhalb des Repertoires haben. Welche sind das, ganz ohne pragmatische Erwägungen?

Risto Joost: Ich liebe die Mischung zwischen alt und neu. Deswegen liebe ich Bach und Mozart, unabhängig vom Stück, z.B. in Kombination mit Pärt. Aber auch James MacMillan. Ich spreche jetzt nicht über estnische Musik, das wäre zu naheliegend. Ich finde es wichtig, dass unser Klangkörper ein gutes Gefühl für alle möglichen Genres hat. Es geht um eine passende Balance und wir müssen es schaffen, unsere Liebe zu den Stücken zum Publikum transportieren.

Katrin Kirsch: Genau. Wenn ich vorher ein Stück von Erkki-Sven Tüür gehört habe, dann höre ich das Beethoven Klavierkonzert danach anders. Mich haben schon immer Programme interessiert, die ein bisschen außerhalb der Reihe sind und nicht so monothematisch. Mir gefallen Mischungen aus unterschiedlichen Stilen und Epochen, Romantisches mit Jazzeinflüssen, genreübergreifende Musiker:innen wie in der Spielzeit 24/25 das Vision String Quartet oder Frank Dupree, mit denen wir auch weiter zusammenarbeiten wollen.

Risto Joost: Ich freue mich sehr auf unseren Brahms-Zyklus, d.h. dass wir alle vier Sinfonien in den nächsten Jahren aufführen wollen.


Georg Oyen: Wann und unter welchen Umständen hat ein junger Musiker aus Tallinn erstmals vom Württembergischen Kammerorchester gehört? Wann konnten Sie die Stadt Heilbronn auf der Landkarte verorten?

Risto Joost: Das WKO war in meinen Ohren schon lange präsent. Ich habe regelmäßig die Schallplatten des WKO mit Jörg Färber gehört. Wir hatten an der estnischen Musikakademie diese Tradition, z.B. bei Jan Rääts, dass wir immer verschiedene Platten angehört haben von unterschiedlichen Aufführungstraditionen, angefangen bei den allerersten Aufnahmen und das WKO war oft dabei. Der bekannte Dirigent Neeme Järvi war übrigens auch ein großer Fan von Jörg Färber.

Georg Oyen: Unsere bisherigen Chefdirigenten spielten in ihrem musikalischen Vorleben Klavier, Violine und Posaune. Mit dir, Risto steht nun erstmalig ein Sänger und Chordirigent am WKO-Pult. Was können Instrumentalisten von Sänger:innen lernen (und umgekehrt), wo sind die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede? 

Risto Joost: Also, ich war in einem gregorianischen Chor, in einem Kammerchor, als Solist auf der Opernbühne und im Konzert, aber ich habe Klavier studiert, Trompete, Klarinette, Chor- und Orchesterleitung, daher bin ich sehr breit aufgestellt. Die Stimme war natürlich immer präsent, aber die Verbindung zum Kammerorchester war bei mir auch immer sehr stark. Streichinstrumente sind der menschlichen Stimme ähnlicher als Blasinstrumente, obwohl sie eigentlich nicht atmen müssen. Das spielt natürlich im Gesang eine sehr wichtige Rolle. Streicher können auch spielen, ohne zu atmen, aber das hört man dann sofort. Für mich ist es ein Gesamtkunstwerk, einen Klang zu formen. Es ist nicht so, dass wir jetzt instrumental spielen und dann gesanglich, es mischt sich stöndig. Ich liebe Instrumentalmusik, aber ich sehe das alles vom Atmen her. Deswegen ist es für mich egal, ob wir singen oder spielen, das Ziel ist das Wichtigste. In den »goldenen« Zeiten der 80er- und 90er-Jahre galt das WKO in Sachen Solistenbegleitung als Marktführer. Mit Solisten wie z.B. Maurice André und James Galway wurde viel Geld verdient, während das Orchester andererseits große Probleme hatte, sich als künstlerisch eigenständig zu profilieren. Letzteres ist uns in den vergangenen 20 Jahren deutlich besser gelungen. Aber wie steht es mit den »großen« Solisten heute?

Katrin Kirsch: Ich fürchte die Zeiten, in denen man mit einem Kammerorchester »richtig viel Geld verdienen« konnte, sind leider vorbei. Besonders in den letzten zehn Jahren ist alles so viel teurer geworden, aber die Veranstalter zahlen zum Teil immer noch die gleichen Gagen, weil die Zuschüsse nicht einmal ansatzweise in gleichem Maße erhöht worden sind und auch nicht die Eintrittspreise. Die Frage nach den großen Solisten höre ich seit ich hier bin öfter, aber ich kann es nicht ganz nachvollziehen. Sabine Meyer und Anne-Sophie Mutter waren damals in den 80er Jahren auch noch keine großen Stars, sondern standen am Anfang ihrer Karriere.

Risto Joost: Es ist sehr wichtig, regelmäßig mit tollen Solisten zu arbeiten, weil das auch Inspiration für unser Orchester ist und auch für das Publikum. Aber es ist mir sehr wichtig, dass wir dabei als Klangkörper nicht unser Profil verlieren. Wenn wir jemanden einladen, müssen wir das Gefühl haben, dass zwei Partner sich auf Augenhöhe begegnen und nicht, dass das Orchester einfach nur begleitet. Wir sind viel selbstbewusster jetzt und wissen, was wir wollen. Und noch etwas, was sich geändert hat: Die Solisten kommen jetzt öfter und machen »lead and play«, also sie übernehmen auch die künstlerische Leitung des ganzen Projekts. Wir sind ein Kammerorchester, daher sind wir mehr in dieser Richtung unterwegs und daran sind viele tolle Solisten auch persönlich interessiert. 


Georg Oyen: Ein Orchester braucht immer etwas, auf dass es sich »freuen« kann, diese Eindrücke, die man noch kommenden Generationen erzählt ... Worauf darf sich das WKO in der kommenden Saison »freuen«? 

Katrin Kirsch: Ich freue mich wahnsinnig darüber, dass es uns gelungen ist, Rudolf Buchbinder für das Geburtstagskonzert zum 65. des WKO am 15. Oktober zu gewinnen. Ihn verbindet eine lange Partnerschaft mit dem Orchester und es wird sicherlich ein Höhepunkt, wenn er mit uns das Klavierkonzert von Robert Schumann spielt. Worauf wir sicherlich alle gespannt sind, ist die Reise nach Estland, die Heimat unseres Chefdirigenten und dann auch noch im November, also im tiefsten Winter dort.

Risto Joost: Darauf freue ich mich natürlich auch sehr und bin stolz, dass das WKO dort sogar gemeinsam mit dem Tallinn Chamber Orchestra auftreten wird. Ich glaube, dass wir davon sehr profitieren können. Wir spielen die Greater Antiphones von Arvo Pärt und niemand spielt Pärt wie das TCO und dann noch in großer Besetzung die Metamorphosen von Richard Strauss. Ich glaube, was auch sehr besonders wird, ist die erstmalige Zusammenarbeit mit dem RIAS-Kammerchor mit einem reinen Arvo Pärt-Programm zum 90. Geburtstag des Komponisten.

Katrin Kirsch: Ich persönlich freue mich auch riesig auf das Konzert mit der jungen Cellistin Raphaela Gromes, die ich seit etlichen Jahren kenne und deren Karriere ich sehr aufmerksam verfolge, weil ich sie für eine der kommenden großen Solistinnen halte. 


Georg Oyen: Ein kleines Ensemble wie das unsere hat es schwer, sich als Organismus zu definieren, auch noch nach 65 Jahren: Mal sagt man, wir seien eine Familie, andere sehen uns als Wirtschaftsunternehmen. Mal heißt es, wir sollten uns wie ein vergrößertes Streichquartett fühlen, dann wieder wie ein kleines Sinfonieorchester benehmen. Mal demokratisch oder doch streng hierarchisch: Wie ist Ihre Sicht auf die Menschen in diesem Orchester? Und in welcher Beziehung sehen Sie sich selbst zum WKO? 

Risto Joost: Ich hatte sofort den Eindruck, dass es ein großes, solistisches Ensemble ist, schon bei unserem ersten Projekt und das hat mich sehr inspiriert. Jedes Mitglied hat das Gefühl, dass es bedeutend ist und ich bin nicht nur Dirigent, sondern ein Partner. Es ist eigentlich große Kammermusik, auch wenn wir in der Lage sind, in allen möglichen Formationen zu spielen, bis zum kleinen Sinfonieorchester.

Katrin Kirsch: Ich habe tatsächlich oft das Gefühl, dass das WKO wie eine große Familie ist. Alle kennen sich sehr lange und verbringen regelmäßig viel Zeit miteinander. Wir spielen oft in einer kleinen Sinfonieorchesterbesetzung, aber die Kernkompetenz des Orchesters ist sicherlich der exzellente Streicherklang, der sehr gut eingespielt ist. Und die Frage der Führung ist heute sicherlich eine andere als noch vor 10-20 Jahren. Hierarchien gibt es natürlich noch, Dirigent, Konzertmeister, Stimmführer, aber das Gefühl, selbst mitbestimmen und mit gestalten zu können wird sicherlich eher noch mehr Bedeutung bekommen in der Zukunft. Mir entspricht dieses Prinzip der Führung viel mehr und es erhöht definitiv die Zufriedenheit aller Beteiligten.

Risto Joost: Ich habe auch dieses Gefühl, dass der Dirigent heutzutage, zumindest beim WKO und bei kleinen Orchestern eher ein musikalischer Partner ist. Ich fühle mich als Partner dieses Orchesters. 


Herzlichen Dank für das Gespräch!

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